Ein vergleichbar einfaches Cover und ein Klappentext, der Tiefgang verspricht, was braucht man mehr oder? Das Buch von Dörte Hansen, erschienen im Knaus Verlag weckte mit Leichtigkeit mein Interesse 🙂
Das „Polackenkind“ ist die fünfjährige Vera auf dem Hof im Alten Land, wohin sie 1945 aus Ostpreußen mit ihrer Mutter geflohen ist. Ihr Leben lang fühlt sie sich fremd in dem großen, kalten Bauernhaus und kann trotzdem nicht davon lassen. Bis sechzig Jahre später plötzlich ihre Nichte Anne vor der Tür steht. Sie ist mit ihrem kleinen Sohn aus Hamburg-Ottensen geflüchtet, wo ehrgeizige Vollwert-Eltern ihre Kinder wie Preispokale durch die Straßen tragen – und wo Annes Mann eine Andere liebt. Vera und Anne sind einander fremd und haben doch viel mehr gemeinsam, als sie ahnen.
Mit scharfem Blick und trockenem Witz erzählt Dörte Hansen von zwei Einzelgängerinnen, die überraschend finden, was sie nie gesucht haben: eine Familie.
Der Einstieg ins Buch ist anders, ebenso der Schreibstil. Ich brauchte dadurch einige Seiten um hineinzufinden, denn gerade die kalte Nüchternheit der Erzählung machte es mir sehr schwer mich einzufühlen. Mit den Seiten wurde allerdings auch schnell deutlich, dass gerade dieser Schreibstil ein wichtiges Mittel für die Erzählung in dem Roman ist. „Altes Land“ spielt wie der Name schon sagt auf dem Land, wo die Zeit scheinbar stehen geblieben ist. Die Menschen gewöhnen sich hier nur äußerst langsam an etwas Neues und vor allem Fremde müssen hier erst einen Weg in die Gesellschaft finden. Je nach Größe des Dorfes sind die Einwohner eine eingeschworene Gemeinschaft, die sich Neulingen nur schwer öffnen.
Eben diese Entwicklung wird auch im Roman aufgezeigt. Vera, das „Polackenkind“ kommt als Flüchtling in den Ort und wird von niemandem wirklich akzeptiert. Ihr Leben ist schon als Kind alles andere als einfach, aber sie lernt mit den Gegebenheiten umzugehen und macht das beste daraus. Vera erhält eine gute Schulbildung, macht Abitur und studiert sogar. Sie ist in dieser Hinsicht sehr erfolgreich und kehrt letztendlich als Zahnärztin in den Ort ihrer Kindheit zurück. Über die Jahre wandeln sich hier die Zeiten und so hat sie auch den alteingesessenen Ortsstamm in ihrer Praxis sitzen.
Eine in gewisser Weise andere Persönlichkeit ist dagegen Anne, Veras Nichte. Sie lebt in der Stadt, fühlt sich hier allerdings alles andere als wohl. Sie ist hier eine Außenstehende vielleicht sogar Ausgestoßene wie es Vera in ihrer Kindheit gewesen ist. Diese Parallelen sind auf den ersten Blick vielleicht nur schwer zu erkennen und doch zeigt sich beim Lesen, dass beide Frauen (-schicksale) ihre Gemeinsamkeiten haben.
Dörte Hansen hat es verstanden die Charaktere nüchtern zu beschreiben, Alltagssituationen aufzuzeigen und unterschwellige Parallelen zu ziehen. So befremdlich ich den Schreibstil zunächst empfand, so passend war er letztlich für diesen Roman. Ich fühle mich auch nach dem Lesen eher wie ein Außenstehender, aber dies ist notwendig um die beiden Schicksale wirklich betrachten zu können. Nur so kommt vermutlich der gesellschaftspolitische Anteil des Romans wirklich zu tragen. Die Vorurteile sind beim Lesen von „Altes Land“ mitunter fast greifbar und wesentliches Element der Erzählung. Beide Frauen sind starke Charaktere, die es verstehen ihren Weg zu gehen. Leichte Unterhaltung ist „Altes Land“ von Dörte Hansen keinesfalls, ein Roman mit Tiefgang und interessantem Schreibstil in jedem Fall. Insgesamt vergebe ich dafür gute 4 Sterne, denn teilweise fehlte mir die emotionale Verbindung zum Buch und den Figuren etwas. Der Roman leidet wenn überhaupt aber nur unwesentlich darunter.
Interesse geweckt? Hier geht es zur Leseprobe beim Knaus Verlag oder lest die Probe gleich hier bei mir 🙂